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Rede zur Ausstellung Gedankenstriche

„Gedankenstriche“
Malerei und Zeichnung von Barbara Röpke
Galerie der Arbeitnehmerkammer Bremen, Geschäftsstelle Bremerhaven

Einführung am 03.09.2020
von Birgit Börresen, VHS Bremerhaven, Fachbereichsleitung Kultur


Guten Abend! Ich grüße Sie!

Heute ist ein besonderer Tag.
Heute finden Arbeiten der Künstlerin Barbara Röpke ihren Platz am Neuen Hafen, wo sie hier in der Galerie der Arbeitnehmerkammer Bremen bis zum 29. Oktoberöffentlich gezeigt werden.

Am Neuen Hafen wurde viel Bremerhavener Geschichte geschrieben.Er war stets ein bedeutender Austragungsort verschiedener unternehmerischer und gesellschaftlicher Suchbewegungen einer jungen, dynamischen Hafenstadt im Bestreben nach Identität und Wohlergehen, ein Ort des Schaffens und der Sehnsucht, des Kommens und Gehens, des Werdens und Vergehens.
Der perfekte Ort für die Präsentation der Bilder Barbara Röpkes.
• Bremerhaven
• Prozesse der Verwandlung bzw. der Vergänglichkeit
• Metall
Dies sind die 3 Themen,
• die Barbara Röpke seit Jahrzehnten unablässig faszinieren,
• die sie in den meisten ihrer Zeichnungen, Malereien und Assemblagen gestalterisch ausarbeitet
• und die als Kriterium für die Auswahl der Arbeiten für diese Ausstellung ganz oben standen.
Darüber hinaus zeigt die Künstlerin aber auch ein paar ganz neue Arbeiten, die teils aus reiner Experimentierfreude,teils auch unter dem Einfluss der Pandemie entstanden sind. Auf eine dieser neueren Arbeiten bezieht sich der Titel „Gedankenstriche“. Wir sehen also heute ein breites Spektrum des Schaffens Barbara Röpkes.
Barbara Röpke bezeichnet sich selbst als zeichnende Malerin. Seit 1993 ist sie freischaffend tätig und hat in Einzel- und Gruppenausstellungen in Deutschland und Frankreich ausgestellt. Sie ist Mitbegründerin der Galerie „KunstRaum“ und Mitglied der internationalen Künstlergruppe PARADOX.   
Gezeichnet hat sie quasi schon immer. Ab den 80er Jahren besuchte sie erste Zeichenkurse an der Volkshochschule Bremerhaven, später ließ sie sich von Peter K. Kirchhof aus Düsseldorf im Zeichnen und von Carmelo Cicero aus Köln in der Malerei jeweils im Rahmen der Bremerhavener Sommer-Akademie ausbilden.
Ihre erste Zeichnung in Farbstift hängt hier aus: die „Blaue Tonne“. Genau genommen ist es eine Gemeinschaftsproduktion von ihr und ihrem Lehrer Peter K. Kirchhof: Barbara Röpke nahm erstmals an der Sommer-Akademie teil und erhielt Feedback von ihrem Dozenten, der gleich zum Stift griff, um ihr anschaulich ein Verständnis von Licht und Schatten zu vermitteln. Offenbar gefielen ihm das Motiv und die Ausarbeitung, denn er blieb dabei und zeichnete weiter am Schattenwurf bis das Bild gemeinschaftlich fertiggestellt war. Dass diese Zeichnung unverkäuflich ist, versteht sich von selbst.
Die Tonne in ihrer Lieblingsfarbe Blau hatte Barbara Röpke im Fischereihafen gefunden, ganz in der Nähe des Seitenfängers „Gera“, der heute zum Schifffahrtsmuseum gehört.
Barbara Röpke blieb dabei, Entdeckungen und Fundstücke insbesondere in Hafengefilden unserer Seestadt als Motive ausfindig zu machen, um sie zeichnerisch zu erfassenoder in Assemblagen einzuarbeiten.Zwar finden sich auch fiktive Motive und freie Interpretationen unter den Zeichnungen, wie z.B. „Verwandlung“, „Chaos“,die neuen Anker-„Ketten“ und„Verschlossen“, aber diese sind eher vereinzelte Exkurse aus ihren ansonsten fotorealistischen Zeichnungen.
Sie liebt es, irgendwo rumzubutschern, wo man nicht hindarf, um eine künstlerische Idee oder ein morbides Stück Hafengeschichte mitzunehmen.
Hier am Neuen Hafen hat sie den Festmacherhaken gefunden, dessen zeichnerisches Abbild Sie im Foyer des oberen Stockwerks finden.Es hat etwas Bezauberndes, dass Barbara Röpke heute mit ihrer Ausstellung an der Kaje festmacht, an der sie einst dieses Motiv entdeckt hat. In dieser Zeichnung hat sie sich im Übrigen erstmals mit dem Thema Rost, der Vergänglichkeit von Metall, befasst. Ein Thema, das sie noch lange fesseln und bearbeiten wird.
Mehrere Zeichnungen halten die großenteils inzwischen abgerissenen, vor langer Zeit verlassenen Bauten der Kistner Baugesellschaft nahezu dokumentarisch fest: ein zersplittertes Fenster, eine Außentreppe, der Turm, Gebäudesegmente. Einzig das Himmelblau der Scheiben und Scherben im Bild „Kistner III“ entspricht nicht der vorgefundenen Wirklichkeit. Hier hat die Künstlerin einen Kontrast geschaffen und sich vielleicht auch einfach eine Abwechslung vom ewigen Grau des Verfalls gegönnt. Diese Kistnerbilder sind nachts entstanden, allesamt Produkte nächtlicherZeichenanfälle.
Reale Abbildungen eines zerbrochenen Fensters der Schichau Werft wie auch eines vernagelten Fenstersvom Bugsiergelände, schenken uns ein Stück Seestadtgeschichte zurück.
Die Ästhetik des Morbiden und der Vergänglichkeit dessen, was Menschen einst einmal geschaffen und genutzt haben, reizt Barbara Röpke. Aber es ist nicht nur dies. Die Frage danach, wie eine Stadt mit ihrer Geschichte umgeht, ist Antrieb und Untersuchungsgegenstand für die Künstlerin. Barbara Röpkes Arbeiten üben durchaus auch Kritik am Umgang mit historischen Zeitzeugen, an vorschnellen Abrissen und unbedachten Entsorgungen von Segmenten städtischer Identität.Die Zeichnungen„Zahn der Zeit“ und „Ausgedient“ zeigen die Zahnräder der alten Doppelschleuse. Diese lagen achtlos in einem abgesperrten Terrain nicht weit vom Fähranleger. Barbara Röpke holte eine Zugangserlaubnis zur Baustelle ein, um die Zahnräder zu erkunden, die einst die Schleusentore für unzählige ausfahrende und von See kommende Schiffe öffneten und schlossen. Diese Technik, „die Bremerhaven einmal ausgemacht hat“ – so die Künstlerin – hält sie vor ihrer Vernichtung bildlich fest. Um den Schattenwurf naturgetreu nachbilden zu können, hat sie die Zahnräder zuhause mit Pappe nachmodelliert.Kontrast, das Verhältnis von Licht und Schatten und Konturen sind wichtige Parameter im Schaffen von Barbara Röpke.

Auch in die Assemblagen sind meist Fundstücke mit Bremerhavenbezug eingearbeitet. Für die Assemblage „Brinkamahof“ hat sie sich tatsächlich auf das ehemals vor der Weddewardener Küste gelegene Fort, das längst dem Bau des CT IV weichen musste, begeben – diesmal eher abenteuerlich und ohne Erlaubnis – und hat sich von ihrem Fundobjekt inspirieren lassen. Die Assemblagen "der letzte Törn" (THOR I) und „Thor II“ enthalten original Teile des Fischkutters THOR, der im Fischereihafen abgewrackt wurde. Durch die Verarbeitung im Bild wird nicht allein eine Erinnerung wachgehalten. Vielmehr führt Barbara Röpke die Fundgegenstände einer neuen Bedeutung zu und gibt dem Prozess der Verwandlung eine neue Wende, erlöst sie von der Bitterkeit des Vergessens und hebt diese Zeugeneiner vergangenen Wirklichkeit auf ein bühnengleiches Podest.

1999 hat Barbara Röpke erstmals mit flüssiger Farbe und Pinsel gearbeitet. Sie hatte sich zum Malerei Workshop von Carmelo Cicero zur Sommer-Akademie angemeldet. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie schon so viel Zeichenerfahrung, dass sie ihr Wissen und Können als Dozentin der VHS Bremerhaven weitergeben konnte. Zum Sprung zur Malerei ermunterte sie meine Vorgängerin, die damalige Leiterin des FB Kultur und der Sommer-Akademie Christa Fürst. Für Barbara Röpke war dies ein großes Experiment. Und offenbar fand sie zunehmend Geschmack am Experimentieren.

Sie finden in der Ausstellung eine Reihe von Bildern, die erodierendes Metall darstellen. Tatsächlich sind diese Gemälde ebenso durch an der Hafenkante gemachte Funde inspiriert – durch Schiffswände. Schiffswände verführen Barbara Röpke stets zu genauem Hinsehen. Mal ist es eine Farbe, ein andermal die Struktur einer Verwitterung, die sie zum Malen veranlasst. Oft sind es Details, die sich nur einem suchenden Auge offenbaren, die aber den Ausschlag zum Bild geben. Beim Bild „AL-ZAHRAA“ von 2007war es nur die kleine Fläche von vielleicht 10 x 10cm, die sie so fasziniert hat. Die gestalterische Umsetzung dieser Inspiration in ein Gemälde von 1,20 x 1,60 m bedurfte unzähliger bewusster Lasuren, die die Tiefe und Formungen des Bildes ausmachen.
Nicht nur Bildtitel wie „under my skin“ oder „underneath the water“, auch vielegestalterische Bearbeitungen von abblätternden, zerklüfteten, zerkratzten, aufgeplatzten und verletzten Oberflächen -Fenstern, Mauern, Metallflächen –deuten auf das Interesse der Künstlerin für den Blick ins Dahinter, ins Innere, auf den Grund und für die im wahrsten Sinne des Wortes Vielschichtigkeit von Wirklichkeit hinter einem ersten Eindruck.
In „ein kleines Gelb“ oder „ein bisschen Grün“ erblicken wir überraschend frische Farben in der Tiefe des vergehenden Metalls.

Dass Barbara Röpke sich unbezähmbar für Schiffswände begeistern kann, liegt wunderbar poetisch in ihrer Biografie begründet. Sie wuchs in Nordenham auf, von wo ihr Vater auf sog. Fischpötten zur See fuhr. Oft war er monatelang weg, manchmal ein Vierteljahr – eine sehr lange Zeit für ein Mädchen, das als Erwachsene von sich sagt „Ich bin ein Vaterkind gewesen“. War endlich der Zeitpunkt für die Heimkehr des Vaters gekommen, erwartete sie sehnsüchtig seine Ankunft am Pier. Kaum hatte das Schiff für den Schleusengang festgemacht, wurde Barbara Röpke an der Schiffswand hoch zum Vater hochgehoben, um durch die Schleuse mitzufahren. Barbara Röpke hat in den wohl größten Momenten ihrer Kindheit Schiffswände unmittelbar vor Augen gehabt, die von den Erlebnissen und Abenteuern, von fremden Häfen und fernen Meeren erzählten, von denen ihr Vater jetzt nach Hause kam.
Hier wurde ganz offensichtlich ein Grundstein gelegt für das Thema Hafen und Schifffahrt und für das Fernweh, das Barbara Röpke zeitlebens umtreibt. Mit 12 Jahren zog sie mit ihrer Familie von Nordenham nach Bremerhaven, wo sie auch noch nahezu am selben Fleck bis heute wohnen blieb. Allerdings ist sie mit ihren Lieben ständig unterwegs, auf Besuch bei weltweit verstreut lebendenFamilienmitgliedern, mit dem Wohnmobil in ferne Länder und Kontinente, streunend in irgendwelchen Hafengefilden – manchmal vom Fernweh getrieben sogar in der Nacht - oder nachts in ihrem Atelier in die Weite und Tiefe ihrer Bildvorhaben.

Aber zurück zu den Experimenten: Übermut und Frust gepaart mit gesundem Trotz sind Quelle experimenteller Arbeiten, die aus dem Rahmen fallen. Die Corona Krise gibt den Ausschlag für das nach dem Virus benannte Bild, das Sie im Treppenhaus finden. Sie verarbeitet hier Farben, die sie ebenso fragwürdig wie abstoßend findet – wie sie sagt. Der Frust über 6 Wochen gesundheitsbedingter Isolierung lässt sie diese von ihr als aggressiv empfundenen Farben wählen und eine neue, forsche Malweise ausprobieren.
Und überhaupt ist 2020 für die Malerin ein produktives und experimentierfreudiges Jahr. Mit „underneath the water“ greift sie im Februar dieses Jahres das Motiv von AL ZAHRAA auf und erforscht es neu. Die Bilder „Thor II“ (siehe Einladungskarte), „Plumbum II“und„Plumbum III“werden fertig, wie auch eine Reihe von Bildern, die zuhause im Lager bleiben mussten.
Mit der titelgebenden Arbeit dieser Ausstellung – „Gedankenstriche“ – entwickelt sie unter dem Eindruck der Pandemie eine Neubearbeitung des Bildes Marienborg III von 2014.Die flächige Acrylmalerei geht durch Bearbeitung mit einem 0,1er Pinsel in Zeichnung über. Gedanken über eine (Zitat:) „komische Zeit“ manifestieren sich hier in langsam und ruhig, meditativ gezogenen Strichen. Doch die Ruhe trügt. So wie das Interpunktionszeichen Gedankenstrich eine Leerstelle im Text zwischen zwei niedergeschriebenen Gedanken abbildet, so finden wir mit den Pinselstrichen ebenso nur die Hervorhebung von Leerstellen zwischen unzähligen Gedanken, die die Künstlerin getrieben haben aber hier unausgesprochen bleiben. Ängste, Sorgen, Schmerzen, fehlende Kontakte finden sich in der Zwischenheit dieser Striche.

Hab Dank, liebe Barbara, für Dein Vertrauen und für den Einblick in Deine Arbeit.

Ein Gedankenstrich setzt als Satzzeicheneinen Akzent, betont, baut Spannung auf und gibt dem ihm Folgenden eine besondere Bedeutung.
Somit setze auch ich unmittelbar vor den Start dieser Ausstellung einenGedankenstrich -


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