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Rede zur Ausstellung

barbara röpke ist - ohne daß sie sich dabei in beliebigkeit verliert
-eine äußerst vielseitige künstlerin. sie malt abstrakt-verträumtes,
nimmt auch das alltagsgegenständliche in ihre arbeiten auf und
präsentiert heute unter dem titel „fundstücke" farbstiftzeichnungen,
die nahezu fotorealistisch sind.
diese zuwendung wird wohl vielfältiger motiviert sein als wir es
zunächst ahnen; und dabei schließe ich möglicherweise die
künstlerin selbst mit ein.
der ansatz könnte eine konzentrations- und fleißübung sein. eine
sammlung, eine art meditation und zugleich eine schärfung
handwerklicher fähigkeiten. vielleicht gar auch ein zeitlich
befristeter rückzug aus einer welt, die man - so wie sie sich
präsentiert - nicht mehr aushalten mag.
wir als betrachter dieser kleinen meisterwerke fotorealistischer
kunst, wir könnten versucht sein festzustellen: heute - angesichts
dieser bilder - ist es einfach. wir sind befreit vom nachweis eines
verstehens. wir sind keinen deutungserwartungen ausgesetzt.
vielleicht atmen wir ein wenig auf. loben das handwerkliche
können, den fleiß und die genauigkeit und bewegen uns in der
vielleicht erhofften sicherheit einer vertrauten gegenständlichkeit.
ist das wirklich so?
möglicherweise läßt uns die kurze Programmaussage ein wenig
aufhorchen. von einer ästhetik des morbiden und der
vergänglichkeit ist die rede und von verhaltener schönheit der
nur scheinbar reizlosen fundstücke.
brecht hat einmal gesagt: „realismus ist nicht, wie die wirklichen
dinge sind, sondern wie die dinge wirklich sind." darauf
grundlegend werden wir ahnen - wenn wir denn ein entsprechendes
vorstellungsvermögen haben - daß jedes kunstwerk
wohl seine spezielle geschichte hat und daß diese geschichte
bestimmt immer komplexer ist als die vermeintliche wirklichkeit
eines sichtbaren gegenstandes.
die nicht sichtbare - aber hoffentlich vorstellbare „geschichte" eines
kunstobjektes beginnt ja bereits mit der gezielten auswahl, mit der
entscheidung für ein bestimmtes thema. ferner mit der absicht, gerade
dieses in sich festzuhalten und ihm schließlich form und ausdruck zu
geben. schon allein mit diesen teilen der „geschichte" ist etwas
dargestelltes immer mehr als das bild einer vermeintlichen
wirklichkeit. „fundstücke" sind in diesem sinne immer auch
ergebnisse einer bewußten (und manchmal wohl auch unbewußten)
suche.
mit ein paar gängigen kunsttheoretischen thesen zum fotorealismus
möchte ich sie noch bekanntmachen (wenn sie ihnen nicht selbst
schon lange bekannt sind). man muß diesen thesen nicht unbedingt
immer folgen. es ist nur einer von vielen standpunkten. die
wirklichkeit hat so viele gesichter, wie es menschen gibt; und jedem
stellt sie sich anders dar. auch - das sage ich erinnernd: die
fotorealistischen farbstiftzeichnungen, um die es heute geht, sie sind
nicht die ausschließliche ausdrucksform, die barbara röpke.
beherrscht und thematisiert.
ich zitiere zum fotorealismus: „in dem die fotorealisten sich der fotos
bedienen, die ihre umwelt bereits auf zwei dimensionen der fläche
reduzieren, hoffen sie abstand zu gewinnen, eigene gefühle
auszuschalten, nichts von sich selbst im bild mitzuteilen."
aber und auch - das bemerke ich dazu: bereits dieser entschluß teilt
ja etwas mit (und natürlich die aus wahl,
thematisierung u.a. im o.a. sinne).
ich zitiere weiter: „der anlaß für den fotorealismus mag darin liegen,
daß die maler ihre umwelt als so undurchschaubar und kompliziert
empfinden, daß sie sich zur oberflächlichen nachahmung bereits
vorgefundener realitätsausschnitte (nämlich den fotografiert)
flüchten.
die kühl und verschlossen wirkenden, oft menschenleeren bilder der
fotorealisten, abbilder von abbildungen, weisen auf die unfähigkeit
oder unwilligkeit der künstler hin, mit ihrem unpersönlichen,
technisierten lebensbereich etwas anfangen zu können. vielleicht ist
es auch ein mittel, mit dem die künstler das gefühl der fremdheit
gegenüber der eigenen umgebung überwinden wollen." (zitatende).
die fundstücke, die barbara röpke suchend gefunden hat, sie haben
längst einen „frohsinnigen reklamelack"eingebüßt, ja, sie haben sogar
die ihnen ursprünglich zugedachten funktionen verloren. einige sind
vom rost gezeichnet, der ihnen einen ganz sonderbaren schimmer
verleiht.
ihre farben sind gebrochen von der witterung, vom nass und vom
schmutz, in dem sie liegen. beinahe könnte man meinen, daß sie
schlafen in der melancholie einer wehmut des
vergessenwordenseins. im schatten einer zukünftigen
vergangenheit.
die künstlerin greift versehrtes auf, abgefallenes und verkümmertes.
es geht um abgeblättertes holz, auch um scheiben und splinte und um
ketten. ketten, die sich wie schlangen winden und die auf eine
seltsame weise uns so zugehörig erscheinen. barbara erfaßt relikte
einer weitgehend verblichenen zeit. gründelt vielleicht einem toten
heimatlichen slogan noch nach.
von einer ehemals tätigen stadt im nordseewind ...
sie malt segmente eines ganzen, die uns die spröde und manchmal
bittere poesie eines alten tagewerks noch ahnen lassen: mit henkel
mann und nieselregen. mit fofftein-moken und mit lüttjen lagen in
grünen buden. und mit warmgehaltenen kartoffeln im federbett. mit
muttis nudelholz.
sie macht wohl auch diese ahnung zum bestandteil ihrer kunst und
sie gibt dem weggeworfenen, dem vergessenen wieder die würde
zurück und macht dabei eine ganz andere und neue schönheit
sichtbar.
es ist ein merkwürdiger zufall, daß ich, der sich gerade mit trad.
japanischer literatur und mit vom zen-buddhismus geprägter kunst
beschäftigt, an einen sehr verwandten aspekt gerate, der in der enge
unseres vermeintlich so richtungsweisenden westlichen
kulturkreises kaum eine rolle spielt. im traditionellen ostasiatischen
kulturkreis haben dinge, die vom alter und von abnutzung
gezeichnet sind, einen ganz anderen stellenwert. alte und gebrauchte
gegenstände werden in ihrer lebensnahen schönheit gewürdigt. sie
sind dort auch veranlassung zu stiller besinnung über das
vergängliche und führen mehr als bei uns zur abwehr von
kurzlebigen trends und wechselnden moden.
es ist vielleicht interessant zu wissen, daß die allseits bekannte
vorliebe der Japaner zur kirschblüte gerade in ihrer
„kurzlebigkeit" begründet ist. das gleiche gilt in der j apan.
literatur (insbesondere beim traditionellen „dreizeiler", dem
haiku) für den tau als flüchtige naturerscheinung.
zurück zu barbara röpke, die sich dem weggeworfenen und dem
vergänglichen annimmt und es malend umsorgt, vielleicht weist sie
bewußt (oder unbewußt) zugleich auf die von unserer vermark
tungsindustrie massiv geschürte „wegwerf- und wühltischmentalität"
und auf ihre verhängnisvollen folgen hin. auch und vielleicht gerade
bei uns werden dinge (und in himmelschreiender weise buchstäblich
auch kleine kinder) „weggeschmissen"; und alte, „andere", schwache
und kranke werden an den rand gedrängt ...
vielleicht wird uns schlagartig bewußt, daß diese vermeintlich
„menschenleeren" bilder etwas enthalten, was zutiefst menschlich ist.
vielleicht sollen sie zeigen, was ist, aber stets auch auf der folie
dessen, was sein könnte und sollte.
ich selber schreibe ja ein bißchen; und ich danke barbara sehr, daß
ich mich mit meinem ansatz und mit meiner gestimmtheit in ihrer
kunst sehr aufgehoben fühlen darf. ihnen danke ich nun, daß sie
meine so subjektiven ansichten ertragen haben.

Peter Woest

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